Das Symptom/Freude am Chamäleon

2000/2023

Die Installation Das Symptom ist ein Extrakt aus dem Ausstellungsprojekt Freude am Chamäleon aus dem Jahr 2000. Die damalige Annäherung bezog sich auf die Übertragung der Eigenschaften des Chamäleons auf den Kunstbetrieb und wurde für die thematische Gruppenausstellung Unberührt Berührt, WKV Stuttgart, 2023, in einer Neukontextualisierung und Ergänzung auf das Themenfeld Speziesismus* fokussiert. Es geht um die ambivalente Beziehung des Menschen zu Tieren unter dem Aspekt der Spaltung zwischen Verbundenheit und Intimität auf der einen Seite und abgründiger Distanz, die mit Empathielosigkeit und Gewalt einhergeht, auf der anderen.

Ausgangsfund für das damalige Projekt war ein Ratgeberheft von 1968 aus der Reihe Heimtierbücherei. Darin wird das Chamäleon als Haustier vorgestellt, das in einem zum Terrarium umfunktionierten Mayonnaiseglas gehalten werden könne, dem man allerlei Kunststücke beibringen und das auch als schmuckes Kragenornament dienen könne.

Die Domestizierung eines ansonsten in der Wildnis von Urwäldern und Wüstenoasen lebenden Tieres erscheint durch den übertriebenen Ton eines Ratgeberheftes, der typisch ist für die Zeit der 1950er-/1960er-Jahre, besonders absurd und brutal: Das Chamäleon wird mit seinen auffälligen Merkmalen – der Fähigkeit zum Farbwechsel, den voneinander unabhängig beweglichen Augen und der körperlangen, klebrigen Zunge – weniger als Naturphänomen denn als lebendiges Spielzeug beschrieben und vorgeführt.

Der diskriminierende und gewaltsame Umgang mit einem Lebewesen ist Ausdruck eines Speziesismus, wie er auch im Kontext der Behandlung sogenannter Nutztiere als Phänomen emotionaler Spaltung und gesellschaftlicher Übereinkunft existiert: Tötung und Einverleibung als Ausdruck von Berührung und Nähe – Zufügung von Leid und mangelnde Empathie als Ausdruck von Distanz.

Insofern konstituiert sich durch die unmittelbare Berührung gleichsam ein Ineinanderfallen von großer (körperlicher) Nähe und ebenso großer (emotionaler) Distanz: Ein lebendiges Chamäleon – gesichert durch eine Leine, als Dekor (Brosche, Haarschmuck) direkt am Körper getragen und zur Schau gestellt, ohne Rücksicht auf dessen elementare Bedürfnisse instrumentalisiert – wird dadurch zum Sinnbild für Entfremdung und daraus resultierend dem folgenschweren Umgang mit Natur schlechthin.

* Speziesismus

Unter S. versteht man die bevorzugende Behandlung von Mitgliedern einer bestimmten Spezies, insbesondere von Menschen, gegenüber den Mitgliedern anderer Spezies aufgrund ihrer Spezies-Zugehörigkeit. (…) Kritiker halten den S.  – ähnlich wie Rassismus oder Sexismus – für eine nicht zu rechtfertigende Verletzung des Gleichheitsprinzips. Nicht die Zugehörigkeit zu einer biologischen Spezies dürfe von Belang sein, sondern die Empfindungsfähigkeit (Pathozentrismus), Bewusstheit und Personalität.“ (www.spektrum.de/lexikon/philosophie)