Frühe Arbeiten

Die künstlerische und empirische Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit, Sozialisation und Identität im Spiegel der deutschen Nachkriegsgesellschaft in den 1950er-/1960er-Jahren in Form verschiedener Werkgruppen. Untersucht werden ausgehend von der Grundthematik kultureller Überformung und sozialer Zurichtung des Individuums, die Schnittstellen zwischen individueller und kollektiver Erfahrung und Erinnerung. Die hierbei zum Einsatz kommenden Medien reichen von gestickten Textarbeiten über Fotografien in Form von Stoffdrucken, Objekten aus Bronze und Salzteig, Zeichnungen bis hin zu Audio- und Videoarbeiten.

[…] Der ‚Wechsel der Perspektiven‘, das Wechselspiel von „Aneignung und Distanz“ beginnt mit dem Erinnern selbst: angeregt durch Materialien aus der eigenen Kindheit ­– vor allem private, persönliche […] aber auch allgemeine […] wird die Erinnerung reflektiert, wird das anscheinend völlig Private und Einzigartige der eigenen Biographie als ganz konventionelle und sowohl zeitgemäße als auch klassenspezifische Konvention freigelegt. […]

Susanne Hofmann transformierte die Impulse des Schreckens in eine Erforschung dieser allgemeinen kleinbürgerlichen Kindheitsgeschichte im Nachkriegsdeutschland; sie begann, diese Geschichte, die zugleich ihre ganz persönliche und eine anonyme Massengeschichte ist, systematisch zu rekonstruieren, also das, was nicht mehr existierte, wiederherzustellen. Photoalben von anderen Personen, Stoffe und Möbel (besonders Tische), Schulbücher, Ratgeber für Mädchen, Handarbeitshefte (vorzugsweise Nähanleitungen), Anleitungen für Tierfreunde (Wellensittiche). Eine ganze Welt von Ratgebern und Anleitungen und ein spezifisch muffiger Geschmack des Moralischen und des Dekorativen wird von ihr entfaltet, die jeder kennt, der im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen ist […] Ein noch weitergehender Schritt war es, die Gegenstände der Erinnerung selbst wiederherzustellen, in einer aktiven Rekonstruktion von affirmativ besetzten Dingen der Kindheit in der Form von kleinen, spielzeuggroßen und spielzeugartigen Skulpturen (aus Bronze, aus Salzteig). Das Eintauchen in die Erinnerung wird so zu einer aktiven Mimesis an das Erinnerte, eine Rekonstruktion des Vergangenen aus der Erinnerung, die weiß, daß dieses so nie existiert hat: das Erinnerte wird erst durch seine „Rekonstruktion“ produziert oder zumindest geformt. Auf diese Weise wird die aktive Mimesis an die erinnerte Kindheit zu einer Erforschung all dessen, was in der Kindheit, vor allem Bewußtsein, das Individuum geformt hat, was sich in seinen Leib, seine Seele und seinen Geist eingeschrieben hat (eingeschrieben als Normen, Verhaltens- und Denkweisen, als unverstandenes Gesetz). […]

Die Haltung von Susanne Hofmann zu dem vorgefundenen, wiedergefundenen, übernommenen oder aus der Erinnerung rekonstruierten Material aus ihrer Kindheit ist selbst doppelgesichtig und schwankend, erfährt das Wechselspiel des Heimlichen und des Unheimlichen in der eigenen Geschichte: denn die Kindheit ist in der rekonstruierten Erinnerung zugleich schön und erschreckend, anrührend und abscheulich – eine Welt der Nähe, der Spontaneität und der affektiven Freiheit, und zugleich eine Welt der Abhängigkeit, der Unmündigkeit oder Sprachlosigkeit und des Ausgeliefertseins. […]

Johannes Meinhardt, Der Schrecken der Harmlosigkeit, in: Susanne Hofmann. Vorgestellte Erinnerungen – Nachgestellte Zustände, Ausstellungskatalog, Stuttgart 1999